Eine Ausstellung der Universitätsbibliothek Leipzig, Bibliotheca Albertina, Beethovenstr. 6, 04107 Leipzig
18. Februar bis 5. Juni 2011, täglich geöffnet von 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei

Zum Thema der Ausstellung

An Konstantin von Tischendorf (1815-1874) erinnert in Leipzig keine Straße und kein Platz. Und doch gehört er zu den berühmtesten Gelehrten der Leipziger Universität, deren größte Vertreter sonst schon in der Kartographie der Stadt vertreten sind. Mit der neuen Ausstellung in der Bibliotheca Albertina in Leipzig wird an Tischendorf und seine Lebensleistung als einen der bedeutendsten Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts erinnert. Es wird damit ein kleines Straßenschild aufgestellt, das besagt: Abenteuer und Handschriftensuche – bitte hier entlang.

Drei Reisen in den Orient hatte Tischendorf zwischen 1843 und 1859 unternommen, begleitet von Artikeln in der zeitgenössischen Presse, die aufmerksam verfolgte, was Tischendorf entdeckte und was er nach Europa mitbrachte. Tischendorf war so etwas wie der Indiana Jones der Bibelforschung, immer auf der Suche nach den ältesten und echtesten Zeugnissen des christlichen Glaubens. „Wo Sie hinkommen, da finden Sie auch“, sagte König Friedrich Wilhelm IV. von Preussen 1855 zu Tischendorf, und Alexander von Humboldt schrieb ihm in einem Brief: „Sie gehören zu den glücklichsten Reisenden unserer Zeit, aber glücklich sind Sie nicht durch Zufall; nein, Sie sind es dadurch geworden, dass Sie, mannigfach und gründlich vorbereitet, mit so seltenem Scharfsinn und eisernem Fleisse begabt, das Richtige zu erkennen und als ächte historische Monumente zu bearbeiten wussten.“

Tischendorfs Name ist am engsten mit dem bedeutendsten Fund seiner Karriere verbunden, mit dem Codex Sinaiticus, dem ältesten Bibelmanuskript mit dem vollständigen Text des Neuen Testaments. Dieses Werk ist heute im Internet ediert, wo es eine mustergütlige Handschriftenedition darstellt (www.codex-sinaiticus.net). Tischendorf verdanken wir die Bekanntmachung des Werkes und die wertvollen 43 Blätter, die seit 1845 in der Universitätsbibliothek Leipzig aufbewahrt sind. Tischendorf steht jedoch auch am Beginn einer Geschichte der Fragmentierung eben dieser Handschrift. Die Geschichte der Entdeckung des Codex Sinaiticus gehört zu den spannendsten Wissenschaftskrimis der letzten zweihundert Jahre. Die Ausstellung stellt diese Geschichte ins Zentrum. Zu sehen sind auch zwei originale Blätter des äußerst wertvollen Manuskripts.

Tischendorf selbst war eine schillernde Gestalt in einer spannenden Epoche, die von alten und ältesten Handschriften fasziniert war – und sich sogar Fälschungen kaum ausreden ließ. Mit Tischendorf tauchen wir in die Welt der ältesten christlichen Überlieferung ein, die Welt einer griechischen Kultur, in der die Evangelien und das Alte Testament ihre heutigen Textgestalten annahmen. Wenn die Besucher der Ausstellung mit Tischendorf ins 4. Jahrhundert und damit in die Bildungsphase der christlichen Religion gelangen, haben sie sich dennoch nicht von der Gegenwart entfernt, denn diese Vergangenheit ist noch heute von größtem Interesse. Dafür zeugen mehrere Bücher, die – unabhängig voneinander, aber zeitgleich – im Jahr 2011 in Deutschland erscheinen und deren Autoren zur Ausstellung Vorträge halten werden: Christfried Böttrich aus Greifswald als wissenschaftlich arbeitender Theologe, Alexander Schick (Sylt) als historisch arbeitender Schriftsteller und Rüdiger Schaper (Berlin) sowie Jürgen Gottschlich (Istanbul) als von der Geschichte Tischendorfs faszinierte Journalisten.

Die Universitätsbibliothek Leipzig hat für Ausstellung und Katalog Rat und Tat von Prof. Dr. Foteini Kolovou eingeholt, die zusammen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Lehrstuhl für Byzantinische und Neugriechische Philologie der Universität Leipzig die Texte verfasst hat – immer im Bemühen um größtmögliche Verständlichkeit für alle Leser.

Nachdem sich die Universitätsbibliothek Leipzig in den Jahren 2005-2010 aktiv am internationalen Codex-Sinaiticus-Projekt beteiligt hat, was neben der Webseite auch durch eine Broschüre dokumentiert ist und bleibt (Codex Sinaiticus. Geschichte und Erschließung der ‚Sinaibibel‘, Leipzig 2007), gibt sie mit dieser Ausstellung zusätzliche Gelegenheit, Tischendorf auch in den anderen Aspekten seines Wirkens vorzustellen und neben einigen persönlichen Dokumenten aus dem in Leipzig aufbewahrten Nachlaß auch viele Handschriften zu zeigen, die durch den Gelehrten in den Bestand gelangt sind.