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Öldscheitüs Koran aus Bagdad

Das reich mit Goldschrift ausgestattete Werk entstand 1307 in Bagdad im Auftrag des mongolischen Sultans Öldscheitü. 1694 vom Verleger Johann Friedrich Gleditsch der Leipziger Ratsbibliothek geschenkt, wird es seit 1962 in der Universitätsbibliothek aufbewahrt.

Das Blatt (Slider, Abb. 1) ist dreiteilig gestaltet. In der oberen Goldkartusche steht der Koranvers 3 der Sure 57. Das mittlere Feld zeigt Vers 134 der Sure 2 in Wolkenbändern auf einem Hintergrund mit floralen Ranken. Die untere Goldkartusche enthält den Satz: 'Und er (Gott) ließ es seinem edlen Propheten mitteilen.' Unterhalb davon ist in kleiner schwarzer Schrift vermerkt, dass die Handschrift in Bagdad im Jahr 706 Hijra angefertigt wurde, d. i. nach christlicher Zeitrechnung im Jahr 1307.
Unter den zur Entstehungszeit üblichen monumentalen Koranen ist der vorliegende mit 73 x 50 cm der größte. Ihn zeichnen jedoch nicht nur seine Ausmaße aus, sondern die Ausgewogenheit, mit welcher der Kalligraph es versteht, die Weite des Blattes mit riesigen Buchstaben zu füllen, die dennoch leicht wirken. Nur fünf Zeilen, abwechselnd in schwarzer und Goldtinte geschrieben, finden auf einer Seite Platz. Der Auftraggeber dieser Handschrift ist auf der prächtigen Eingangsseite in goldener Schrift genannt, es ist der Sultan Muhammad Hudabande Öldscheitü (auch Ülǧāytü und Öljaytü, gest. 716/1316).
Der Koran des Öldscheitü wird einem Schüler des berühmten Kalligraphen Yaqut al-Musta'simi (gest. 1298) zugeschrieben.

Im 13. Jahrhundert wurden die muslimischen Dynastien in Zentralasien von den Mongolen besiegt und ihre Länder erobert. 1258 wurde das Kalifat der Abbasiden in Bagdad beendet. Der Vormarsch der mongolischen Heere kam erst in Syrien zu seinem Ende. Die Mongolenherrschaft bedeutete nicht nur eine politische Zäsur; auch auf dem Gebiet der Kunst und Literatur setzte ein spürbarer Wandel ein.
Öldscheitü gelangte im Jahr 703/1304 auf den Thron. Kurz darauf traf er bereits Vorbereitungen für sein Nachleben und wandte dafür große Mittel auf. So war ein zentraler Teil einer neu geplanten Residenzstadt Sultaniyye (heute Soltanije im Iran, westlich von Teheran) das heute noch sichtbare Mausoleum des Herrschers mit einer Kuppel, welche über viele Jahrhunderte die größte der islamischen Welt bleiben sollte.
Der ebenso monumentale wie prestigeträchtige Koran wurde in Badad in Auftrag gegeben und spätestens 705/1306 begonnen. Das Werk war als 30-bändige Ausgabe konzipiert, gemäß einer etablierten Einteilung des Korans in 30 Lesungen für jeden Tag des Monats Ramadan. Der Koran ist Zeugnis des Übertritts der mongolischen Herrscher zum Islam. Der als Christ geborene Öldscheitü nahm die neue Religion nach dem Vorbild seines Bruders an.

Wie kam eines der prächtigsten heute noch erhaltenen arabischen Bücher ausgerechnet nach Leipzig? Es sind nur wenige gesicherte Anhaltspunkte. Eine kleine Notiz zu Beginn des Bandes berichtet, dass der Leipziger Buchhändler Johann Friedrich Gleditsch (1653–1716) ihn – zusammen mit einem mit Talismanen beschriebenen Hemd – der Ratsbibliothek zum Geschenk machte.
Die erstaunliche Menge orientalischer Handschriften in der Leipziger Ratsbibliothek verdankt sich auch der Tatsache, dass in jenen Jahren erhebliche Mengen von Handschriften auf den Schlachtfeldern und in den eroberten Städten Südosteuropas erbeutet wurden. Sächsische Truppen waren unter den ersten, welche nach der erfolglosen Belagerung Wiens durch die Osmanen im Jahr 1683 das Lager des Großwesirs stürmten. Dort könnte ein solch fürstliches Buch aufbewahrt und von einem sächsischen Soldaten mit in die Heimat gebracht worden sein.
In die Hofbibliothek in Dresden gelangten weitere Teile des einst auf 30 Bände angelegten Werkes, ebenfalls wohl als Kriegsbeute. Bereits im frühen 16. Jahrhundert gelangten wiederum andere Teile des Bagdad-Korans in das Zentrum des Osmanischen Reiches, Konstantinopel, wo heute drei Bände existieren. Diese Handschriften könnten wiederum auf Kriegszügen erbeutet, aber auch als diplomatische Geschenke an den osmanischen Hof gekommen sein.
Schließlich muss es auch an seinem Bestimmungsort, dem Mausoleum des Stifters, noch Reste des Bagdad-Korans gegeben haben. Das lässt sich aus einem in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen verwahrten Doppelblatt schließen, das als Souvenir des ehemaligen Leipziger Studenten und Orientreisenden Adam Olearius (1603–1671) dorthin kam. Olearius war Teil einer Gesandtschaft am persischen Hof und beschreibt 1638 den Koran in seinem Reisebericht.
Der größte Teil der Handschrift ist heute jedoch verloren oder wurde bisher nicht gefunden.

Der Leipziger Bagdad-Koran scheint auf den ersten Blick ein Meisterwerk aus einem Guss zu sein, ist jedoch tatsächlich eine Sammlung von Fragmenten. Wie die beeindruckenden Ruinen von Sultan Öldscheitüs Mausoleum stehen auch die noch erhaltenen Teile des Bagdad-Korans für eine Pracht, die nicht lange glänzte und nie ganz vollendet werden konnte. Auch wenn der Stiftungseintrag suggeriert, dass ein komplettes 30-bändiges Koranexemplar an das Mausoleum des Stifters gesendet werden sollte, und die in Leipzig erhaltenen Blätter eine bis ins letzte Ornament fein ausgearbeitete Komposition zeigen, erzählen einige andere Fragmente eine ganz andere Geschichte. Schon im Leipziger Band gibt es Textlücken. Hier hat offenbar jemand zusammengebunden, was er gerade greifen konnte.
Noch deutlicher tritt die teilweise unabgeschlossene Ausführung bei den Blättern in anderen Bibliotheken hervor. Dort wurden in einigen Teilen die anspruchsvollen Kartuschen (gerahmte Textstücke) für die Überschriften der Suren oder die am Rand  angebrachten Ornamente für die Anzeige der Versnummern ausgelassen, in anderen Fragmenten wiederum ist die in Goldtinte auszuführende Schrift nicht vollendet worden, es wurden nur die Umrisslinien vorgezeichnet, manchmal fehlt gar beides.
Der unfertige Zustand des Buches erlaubt einen interessanten Blick in die Entstehung dieses komplexen Meisterwerkes. So wurde nicht etwa der Beginn des Buches vollständig ausgeführt und spätere Teile unvollständig. Die in Dresden verwahrten unfertigen Fragmente zeigen, dass auch frühere Teile des Textes unfertig liegen gelassen wurden. Die erhaltenen Teile sind vermutlich Zeugnis der parallelen Arbeit in einer Werkstatt.

Schenkungstext (Übersetzung aus dem Lateinischen; Slider, Abb. 2):
Dieser durch die opulente Schrift sehr wertvolle Kodex, zusammen mit einem leinenen Hemd, das mit Zeichen, arabischer Schrift und geometrischen Figuren geschmückt ist, wurde dieser Bibliothek zusammen mit zwei außergewöhnlichen Türkischen Amuletten von Johannes Friedrich Gleditsch, dem Buchhändler und um die humanistischen Wissenschaften sehr verdienten Mann am 9. Mai 1694 geschenkt.

Der Einband (Slider, Abb. 3) wurde wohl im ausgehenden 16. oder 17. Jahrhundert und möglicherweise in Istanbul angefertigt. In dieser Zeit waren ausladende dekorative Techniken in Mode, welche den Einband als Projektionsfläche extravaganter Opulenz gebrauchten. In Tiefdrucktechnik eingeprägte Stempel mit eingelegtem Filigranschnitt füllten oft die gesamte Fläche von Einband und Dublüre (Innendeckel), waren dabei großflächig vergoldet oder farbenprächtig ausgemalt. Hier allerdings dominiert die zurückhaltende Flächigkeit des schwarzen Leders, auf dem ein Zusammenspiel von mandelförmigem Mittelornament mit vier korrespondierenden Eckornamenten stattfindet, die durch ein Wolkenband eingefasst sind.Nicht jedes der erhaltenen Fragmente ist so unversehrt aufbewahrt wie der Leipziger Band. Die Dresdener und Kopenhagener Blätter etwa wurden stark beschnitten.


Während der äußere Einband einem klassischen osmanischen Modell entspricht, hat der Buchbinder für die Dublüre (Innenseiten des Einbands; Slider, Abb. 4) eine höchst ungewöhnliche Form gewählt. In der Mitte des rot-braunen und nur mit sehr feinen Linien verzierten Leders finden sich drei übereinander abgedrückte quadratische Stempel mit einer als 'Quadrat-Kufi' bezeichneten Schrift. Dieser monumentale, oft für steinerne Inschriften gebrauchte Schrifttyp war in Zentralasien und Persien unter den türkischen und mongolischen Dynastien des 13. bis 15. Jahrhunderts beliebt. Hier wird im Mittelteil das islamische Glaubensbekenntnis sunnitischer Prägung – 'Es gibt keinen Gott außer Gott und Muhammad ist sein Gesandter' – gegeben, während die beiden daran angehängten kleineren Stempel den jeweils viermal aus einem gemeinsamen Mittelpunkt zu den Ecken geführten Namen 'Ali benennen. Dieser Schwiegersohn des Propheten Muhammad gilt den Sunniten als der vierte gewählte Kalif und den Schiiten als der erste Imam. Diese Kombination von Stempeln scheint demnach besonders passend für einen Koran, dessen Auftraggeber während seiner Produktion vom sunnitischen zum schiitischen Islam konvertierte. Ähnliche Inschriften mit dem vier Mal wiederholten Namen 'Alis in Quadrat-Kufi finden sich auch am Mausoleum des Öldscheitü.


Die vielen Koranexemplaren vorangestellte Aufforderung, dass nur die Reinen dieses Buch berühren dürften, war oft Anlass einer schmuckvollen Ausgestaltung, hier auf einer Doppelseite (Slider, Abb. 5).
Über und unter den farbenprächtigen Illuminationen ist hier in deutlich kleinerer Schrift der Eintrag angebracht, welcher dieses Buch als eine Stiftung des Sultans Öldscheitü an sein Mausoleum ausweist. Solche als 'waqf' bezeichneten Stiftungen sollten garantieren, dass das Stiftungsgut idealerweise bis an das Ende der Zeit seinen Zweck erfüllen konnte und damit nicht zuletzt die Erinnerung an den Stifter am Leben erhalten wurde. Das Schicksal des früh zerstreuten Bagdad-Korans zeigt jedoch, wie wenig solche Stiftungsabsichten in der Realität ausrichteten.
Deutlich zu sehen ist in der Mitte der Seite die Linie, an welcher die ersten Blätter dieses Bandes einst zusammengefaltet waren. Es scheint, als wäre das noch ungebundene Werk bereits an seinem ursprünglichen Bestimmungsort fragmentarisch und auf sehr unterschiedliche Art gelagert gewesen.


Um den gesamten Korantext ausgewogen auf 30 Bände verteilen zu können und vielleicht auch, um parallel arbeitende Schreiber, Vergolder und Illuminatoren in einer Werkstatt zu organisieren, folgten der oder die Schreiber einem genau berechneten Plan. Auch erforderten die Größe der Buchstaben sowie die mit jeder Zeile wechselnde Technik – Ausführung in schwarzer Tinte oder schwarze Umrisszeichnung der Buchstaben mit anschließender Goldfüllung – eine große Konzentration. Die vielen Unachtsamkeiten des Schreibers verwundern darum durchaus. Bei der Korrektur des Textes wurden erstaunlich viele Auslassungen des Korantextes bemerkt und der Text am Rand (Slider, Abb. 6) nachgetragen. Nicht selten sieht man den Schreiber am Ende der Zeile die Buchstaben ballen und die Worte auf kleinsten Raum zusammenpressen. Es finden sich im ganzen Buch unzählige am Rand angebrachte Medaillons, welche jeden fünften und zehnten Vers anzeigen. Sie entfalten einen schier unendlichen Formenreichtum: In Kreis- oder Tropfenform, gefüllt mit Kreisen, Ovalen, Blüten sowie verschiedenen geometrischen und floralen Mustern ist keines dieser Ornamente wie das andere.

Stefanie Brinkmann: Mongolischer illuminierter Prachtkoran mit Goldtinte, in: Ein Garten im Ärmel. Islamische Buchkultur, hg. v. Verena Klemm, Leipzig 2008, S. 11
David James: Qur’āns of the Mamluks, London 1988, S. 92-98, 235-236
David James: More Qur’āns of the Mamlūks, in: Manuscripta Orientalia 13 (2007), S. 3-16
Boris Liebrenz: Arabische, persische und türkische Handschriften in Leipzig. Geschichte ihrer Sammlung und Erschließung von den Anfängen bis zu Karl Vollers, Leipzig 2008

Vollständige Digitalisierung der Leipziger Handschrift von Öldscheitüs Bagdad-Koran hier.