Der Nationalökonom und Zeitungskundler Karl Bücher. Die Leipziger Jahre 1892–1930
Karl Bücher (1847–1930) gehört zu den bedeutendsten Wissenschaftlern seiner Zeit: Sein umfangreiches Œvre umfasst weit mehr als 400 wissenschaftliche Veröffentlichungen. Er entwickelte wegweisende statistische Verfahren, sein Name ist bis heute verknüpft mit seiner Theorie der Wirtschaftsstufen und seinem Gesetz der Massenproduktion. Bücher verstand es zugleich, die Grenzen seiner Disziplin zu überschreiten.
Das faszinierendste Beispiel dafür ist seine Studie »Arbeit und Rhythmus«, die gleichermaßen Ökonomen wie Ethnologen und Musikwissenschaftler inspirierte. Sein Alterswerk widmete Bücher der Zeitungskunde. In Leipzig gründete er 1916 das Institut für Zeitungskunde, das als erstes seiner Art in Deutschland eine Keimzelle der heutigen Kommunikations- und Medienwissenschaft und akademischen Journalistenausbildung bildete.
Themen der Ausstellung
Die Lebensstationen von Karl Bücher bis zur Berufung nach Leipzig 1892
1847–1861 Kirberg
Karl Bücher kam am 16.2.1847 in Kirberg, heute ein Stadtteil im hessischen Hünfelden, zur Welt. Sein Vater war Bürstenmacher und Landwirt.
1861–1863 Dauborn
Schüler an der Knabenschule.
1863–1866 Hadamar
Schüler am katholischen Landesgymnasium.
1866–1867 Bonn
Student der Philologie und Geschichte.
1867–1868 Heppenheim
Hauslehrer der Familie des Psychiaters Georg Ludwig.
1868–1869 Göttingen
Student der Philologie und Geschichte.
1869–1870 Bonn
Student der Philologie und Geschichte. Karl Bücher promovierte über die Sklavenaufstände bei Eunus, der Titel seiner Arbeit lautet „De gente Aetolica amphityoniae participe“.
1871 Godesberg
Lehrer am International College, einem internationalen Internat.
1871–1872 Amsterdam
Hauslehrer einer deutschen Kaufmannsfamilie.
1872–1873 Dortmund
Lehrer an der städtischen Doppelanstalt.
1873–1880 Frankfurt am Main
Lehrer an der Wöhlerschule.
Redakteur für Wirtschafts- und Sozialpolitik der Frankfurter Zeitung.
1881–1882 München
Privatdozent an der Universität. Habilitation für Nationalökonomie und Statistik.
1882–1883 Dorpat (heute Tartu, Estland)
Professor für Nationalökonomie und Statistik an der Universität Dorpat.
1883–1890 Basel
Professor für Nationalökonomie und Statistik an der Universität Basel.
1890–1892 Karlsruhe
Professor für Nationalökonomie und Statistik an der TH Karlsruhe.
Internationale Anerkennung als Nationalökonom
Ein Jahr nachdem Karl Bücher zum Wintersemester 1892 den neu geschaffenen Lehrstuhl für Nationalökonomie und Statistik der Universität Leipzig übernommen hatte, erschien 1893 sein Werk »Die Entstehung der Volkswirtschaft«. Dabei handelte es sich um eine Sammlung von wissenschaftlichen Aufsätzen, deren Mehrzahl vor seiner Berufung nach Leipzig entstanden war. Das Buch steht in der Tradition der jüngeren historischen Schule der Nationalökonomie, die der geschichtlichen Betrachtung ökonomischer Phänomene einen hohen Stellenwert beimaß. Den Mittelpunkt der „Entstehung der Volkswirtschaft“ bildeten das evolutionstheoretische Modell der Wirtschaftsstufen von Karl Bücher, seine Typologie der Arbeitsteilung, die er erstmals in seiner Leipziger Antrittsvorlesung am 5. November 1892 vorgetragen hatte, sowie seine Studie über die Entstehungsstufen der modernen Zeitung. Dieser Aufsatz wiederum ging auf einen Vortrag zurück, den Bücher im Rahmen des Professoriums der Leipziger Universität am 3. Dezember 1892 im Leipziger Kristallpalast vor rund 300 Zuhörern gehalten hatte.
Das Buch »Die Entstehung der Volkswirtschaft« begründete die internationale Anerkennung von Karl Bücher als Nationalökonomen und machte ihn im Ausland berühmt. Es wurde von namhaften Vertretern der deutschen Nationalökonomie wie Gustav Schmoller oder Julius Pierstorff positiv aufgenommen und in bedeutenden ausländischen wissenschaftlichen Fachzeitschriften wie dem englischen Economic Journal oder den von Emile Durkheim herausgegebenen L’Année sociologique hoch gelobt. 1901 erschien »Die Entstehung der Volkswirtschaft« sowohl in englischer als auch in französischer Übersetzung. Weitere Teilübersetzungen u. a ins Russische folgten in den Jahren darauf.
Mit 17 Auflagen wurde »Die Entstehung der Volkswirtschaft« das am weitesten verbreitete Werk von Karl Bücher. Er vermehrte die Aufsatzsammlung um weitere Studien u. a. über »Die wirtschaftlichen Aufgaben der modernen Stadtgemeinde« und überarbeitete und aktualisierte die einzelnen Aufsätze bis zur zehnten Auflage (1917) immer wieder. Der Erfolg dieses Buches dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass Bücher es in seinen Lehrveranstaltungen verwendete. Die 17. Auflage erschien 1926, als die historische Richtung der Nationalökonomie ihre Bedeutung bereits erheblich eingebüßt hatte.
Den Verkaufserfolg seines Werkes hatte Bücher freilich genutzt, um 1918 ebenfalls unter dem Titel »Die Entstehung der Volkswirtschaft« eine zweite Sammlung mit weiteren seiner nationalökonomischen Studien zu veröffentlichen, deren Mehrzahl zuvor als Aufsätze in wissenschaftlichen Fachzeitschriften erschienen waren. Diese zweite Sammlung war nicht minder erfolgreich als die erste: Bis 1925 erlebte sie acht Auflagen.
Interdisziplinäres Renommee als Wissenschaftler
Im Juli 1894 wurde Karl Bücher zum ordentlichen Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig gewählt. Dort hielt er bald darauf einen Vortrag über »Arbeit und Rhythmus«, über deren funktionale Zusammenhänge damals in der Physiologie, der Psychologie sowie in anderen Wissenschaften diskutiert wurde. Zwei Jahre später, 1896, veröffentlichte Bücher seinen Vortrag, den er inzwischen zu einer Monographie erweitert hatte.
In diesem Buch entwickelte Bücher die These, dass sich der Kräfteverbrauch vor allem bei ermüdender körperlicher Arbeit durch deren rhythmische Gestaltung und durch Arbeitslieder regeln lässt. Unter Arbeit begriff Bücher hauptsächlich gemeinschaftliche Arbeit, die sich wiederum durch Gesang koordinieren lässt. Ferner hob er das sinnliche und ästhetische Empfinden hervor: »Rhythmus erweckt Lustgefühle; er ist darum nicht bloß eine Erleichterung der Arbeit, sondern auch eine Quelle des ästhetischen Gefallens und dasjenige Element der Kunst, für das alle Menschen ohne Unterschied der Gesittung eine Empfindung inne wohnt.«
In »Arbeit und Rhythmus« verband Bücher seine historischen, philologischen, nationalökonomischen und ethnologischen Kenntnisse zu einer bemerkenswerten interkulturellen Analyse, die er um zahlreiche, zum Teil einzigartige Liedbeispiele aus vielen Teilen der Welt bereicherte. Das Werk fand bald nach seiner Veröffentlichung nicht nur im In- und Ausland hohe Aufmerksamkeit in zahlreichen Wissenschaften, sondern regte diese auch zu neuen Fragestellungen an und begründete dadurch das interdisziplinäre Renommee von Bücher. Es dokumentierte sich auch in vielfältigen, mitunter durch Liedtexte und -noten ergänzten Zuschriften, die Bücher von Wissenschaftlern und interessierten Lesern seines Buches erhielt.
Karl Bücher verwendete auch dieses Material, als er sein Werk in den folgenden Jahren für neue Auflagen immer wieder überarbeitete und um zusätzliche Aspekte – u. a. über den Jazz – ergänzte. Als die sechste und letzte Ausgabe 1924 erschien, war sie dreimal so umfangreich wie die erste Auflage. Auch für »Arbeit und Rhythmus« erhielt Bücher verschiedene Übersetzungsangebote; verwirklicht wurde jedoch allein 1899 eine russische Ausgabe.
Aus der akademischen Arbeit des Leipziger Nationalökonomen
Die wissenschaftlichen Interessen von Karl Bücher hatten sich während seiner Tätigkeit als Gymnasiallehrer in Frankfurt am Main (1873–1878) mehr und mehr von der Geschichte zur Nationalökonomie verlagert. Diese Entwicklung dokumentierte sich in seiner Studie über »die Aufstände der unfreien Arbeiter 143–129 v. Chr.« (1874), in der er die Revolte der ihrer »Menschenwürde« beraubten Sklaven gegen die »blutsaugende Geldoligarchie« aus der Sicht der modernen Arbeiterbewegung beschrieb. Bücher hatte seit 1874 zudem begonnen, als freier Journalist für die Frankfurter Zeitung zu arbeiten und sich mit den damaligen sozialpolitischen Problemen zu beschäftigen. Im gleichen Jahr war er dem Verein für Socialpolitik (VfS) beigetreten, zu dessen prominenten Mitgliedern er avancieren sollte. Diese sozialreformerische Vereinigung untersuchte in zahlreichen Erhebungen, den sogenannten Enquêten die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der industriellen Revolution, die nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs und der Wirtschaftskrise von 1873 bis 1878 eine enorme Dynamik in Deutschland entwickelte. An Enquêten und Jahrestagungen des Vereins wirkte Bücher als ein gemäßigter liberaler Vertreter der sog. Kathedersozialisten bis in die 1920er Jahre mit.
Die Forschungstätigkeit im Auftrag des VfS beanspruchte vor allem im ersten Jahrzehnt nach seinem Ruf an die Universität Leipzig einen großen Teil der Arbeit von Karl Bücher. Anschaulich wird das an der von ihm geleiteten reichsweiten VfS-Enquête über »Die Lage des Handwerks in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Großindustrie«, deren Ergebnisse Bücher von 1895 bis 1897 in neun voluminösen Bänden mit einem Gesamtumfang von mehr als 5.200 Seiten herausgab. Die Erhebungen über das Königreich Sachsen nahm Bücher mit seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studierenden seines Seminars vor und diese Enquete veranschaulichte zugleich, wie Bücher sich stets bemühte, die Forschung mit der akademischen Lehre zu verbinden. »Die ganze Arbeit«, so schrieb er, dürfe »zunächst kein anderes Ziel verfolgen [...] als das des Unterrichts.« In die Bände der Reihe über »Die Lage des Handwerks in Deutschland« nahm er insgesamt 26 Teilstudien seiner Studierenden auf.
1901 wurde Karl Bücher von dem Nationalökonomen Albert Schäffle, seinem Förderer und Freund, als Mitherausgeber in die renommierte Tübinger Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft aufgenommen. Nach Schäffles Tod redigierte Bücher die Zeitschrift seit 1903 über zwanzig Jahre allein. Auch in dieser Zeitschrift und ihren Ergänzungsheften veröffentlichte Bücher zahlreiche Untersuchungen seiner deutschen und ausländischen Studenten, die an seinem Lehrstuhl als Dissertationen entstanden waren. Zu Büchers Schülern gehörten viele später berühmt gewordene Persönlichkeiten wie der Reichskanzler und Außenminister Gustav Stresemann, der russische Außenminister Michail Iwánowitsch Tereschtschénko, der Direktor der Deutschen Reichsbank Hjalmar Schacht oder der Chefredakteur der sozialdemokratischen Zeitung Vorwärts Friedrich Stampfer.
Hochschulreformer und Wissenschaftsorganisator
Karl Bücher gehörte zu den vielfältig engagierten Hochschulreformern und Wissenschaftsorganisatoren der Wilhelminischen Ära. Er zählte zum Gründerkreis der Sächsischen Kommission für Landesgeschichte (1893) und der ersten deutschen Handelshochschule, die 1898 in Leipzig eingerichtet wurde; bei der Einrichtung weiterer Handelshochschulen wirkte er beratend mit. Im akademischen Jahr 1903/1904 war Bücher Rektor der Universität Leipzig. In seiner weitsichtigen Rede über »Alte und neue Aufgaben der Universität«, die er anlässlich der Übernahme dieses Amtes am 31. Oktober 1903 in der Universitätsaula hielt, empfahl er eine stärkere Orientierung der akademischen Ausbildung an der beruflichen Praxis. Das galt besonders für diejenigen Berufe, die sich im Verlauf der gesellschaftlichen Differenzierung im öffentlichen und privaten Dienstleistungssektor herausgebildet hatten und deren Berufsangehörige sich hauptsächlich aus jener Schicht rekrutierten, die sich selbst in diesem Differenzierungsprozess formierte: der neue Mittelstand bzw. die Angestellten. Zu ihnen rechnete Bücher auch die Redakteure. Bücher setzte sich nachdrücklich für die Einführung eines kaufmännischen und volkswirtschaftlichen Diploms ein, was zunächst an der Handelshochschule Leipzig und bis Anfang der 1920er Jahre an allen deutschen Universitäten verwirklicht wurde. Darüber hinaus beteiligte Bücher sich an der öffentlichen Diskussion von weiteren hochschulpolitischen Fragen wie etwa der von ihm kritisierten Gründung von neuen Universitäten. Einige dieser Beiträge veröffentlichte er 1912 in einem Buch unter dem Titel »Hochschulfragen«.
Weit über die Grenzen der Wissenschaft hinaus wurde er indessen durch sein Engagement für den Akademischen Schutzverein (ASV) bekannt. Der Verein war auf Initiative des Rektors der Universität Leipzig, Prof. Dr. Adolf Wach, und mit Unterstützung durch Karl Bücher am 14. April 1903 während der Hochschulrektorenkonferenz in Eisenach mit dem Zweck gegründet worden, den Verlag, Vertrieb und Absatz von wissenschaftlicher Literatur sowie ihre Preisgestaltung zu regeln. Damit reagierten die Hochschullehrer auf eine neue, vom Vorstand des Börsenvereins für den deutschen Buchhandel veranlasste Verkaufsordnung, die am 1. Januar 1903 in Kraft getreten war. Sie sah vor, den bis dahin üblichen Rabatt (5% bis 10%) auf den Buchpreis für Privatkunden (u. a. Wissenschaftler und Studierende) zu verkürzen oder ganz abzuschaffen und für Behörden (u. a. Universitätsbibliotheken) auf höchstens 5% zu begrenzen.
Im Auftrag des ASV verfasste Karl Bücher im Sommer 1903 eine – teilweise polemische – Denkschrift »Der deutsche Buchhandel und die Wissenschaft«. In ihr behauptete er u. a. eine Überproduktion von wissenschaftlicher Literatur, überhöhte Ladenbuchpreise sowie überzogene Gewinnspannen des Buchhandels und forderte, die Buchpreisbindung im Sortimentsbuchhandel aufzuheben. Die Denkschrift löste eine vehemente öffentliche Debatte aus, die in die Geschichte als »Bücherstreit« eingegangen ist: Noch 1903 erschien eine Reihe von Streitschriften, die gegen die Denkschrift und ihren Verfasser gerichteten waren, und zahlreiche großen Zeitungen veröffentlichten lange Berichte und Kommentare.
Ein zentrales Anliegen von Karl Bücher, die Beseitigung der Buchpreisbindung, konnte der ASV nicht verwirklichen. Diese Preisbindung stellt ein bis in die Gegenwart immer wieder diskutiertes Problem dar.
Gründer einer neuen Wissenschaft
Sein Interesse an der Zeitung, an ihrer Entstehung und Struktur hatte Karl Bücher in der Zeit entwickelt, als er seit 1874 als freier Mitarbeiter und dann von 1878 bis 1880 als sozialpolitischer Redakteur bei der Frankfurter Zeitung tätig war. Als Nationalökonomen beschäftigte ihn das Medium einmal als Transportmittel der für die Volkswirtschaft elementaren ökonomischen Informationen. Andererseits erkannte er die stark wachsende wirtschaftliche Bedeutung des Pressesektors, der seit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches und der Liberalisierung durch das Reichspressegesetz von 1874 enorm expandierte. Darüber hinaus hob Bücher die Öffentlichkeits-Funktion der Zeitung hervor: Sie beobachte die Umwelt und informiere über den Staat, die Gesellschaft und die Wirtschaft, berge aber zugleich die Gefahr, unter den Einfluss staatlicher Institutionen zu geraten und für partikulare gesellschaftliche oder wirtschaftliche Interessen instrumentalisiert zu werden.
Während seiner Tätigkeit an der Universität Basel (1883 bis 1890) hatte Bücher begonnen, von Zeit zu Zeit pressekundliche Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten zu halten. Diese Vorlesungen führte er an der Universität Leipzig fort. Obwohl sich die öffentliche Kritik am Journalismus seit der Jahrhundertwende verschärfte und vielfach eine geregelte akademische Ausbildung für den Beruf gefordert wurde, beschäftigte Bücher sich mit dieser Frage zunächst nicht. Erst als der Verleger der Leipziger Neuesten Nachrichten, Edgar Herfurth, 1909 anlässlich der 500-Jahr-Feier der Universität Leipzig dort eine finanziell gut ausgestattete Stiftung für die akademische Journalistenbildung einrichtete, entwickelte Bücher dafür ein Modell, das theoretische und berufspraktische Elemente in einem sechssemestrigen Universitätsstudium der Zeitungskunde verknüpfte.
Nach seiner Emeritierung als Inhaber des nationalökonomischen Lehrstuhls im Jahre 1916 widmete Bücher sich noch ein Jahrzehnt der pressekundlichen Lehre und Forschung. Mit Genehmigung und finanzieller Unterstützung des Sächsischen Kultusministeriums gründete er am 1. November 1916 in Leipzig das erste Institut für Zeitungskunde an einer deutschen Universität. In den folgenden Jahren gelang es ihm, die Zeitungskunde als eigenständiges Fach durch seine Zulassung als Promotionsfach (1921) und durch die Einrichtung einer ordentlichen Professur (1926) an der Universität Leipzig auf Dauer zu sichern. Ferner öffnete er die von ihm herausgegebene Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft für pressekundliche Studien und für die Veröffentlichung von Dissertationen seiner akademischen Schüler richtete er 1918 eine eigene Schriftreihe ein.
Karl Bücher gilt als der Begründer der Zeitungskunde in Deutschland. Nach dem Vorbild seines Instituts wurden in den 1920er Jahren an weiteren deutschen Universitäten sowie an ausländischen Hochschulen zeitungskundliche Institute und journalistische Ausbildungseinrichtungen geschaffen. Es war Bücher nicht vergönnt, eine theoretische Grundlegung des neuen Faches zu verfassen. Stattdessen veröffentlichte er, inzwischen 80-jährig, 1926 unter dem Titel »Gesammelte Aufsätze zur Zeitungskunde« die pressehistorischen und -systematischen Studien, die er seit seiner Berufung an die Universität Leipzig erarbeitet hatte.
Die Erforschung des Werkes von Karl Bücher
Von seiner Berufung auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Statistik zum Wintersemester 1892/1893 bis zu seinem endgültigen Abschied als Direktor des Instituts für Zeitungskunde im Sommersemester 1926 lehrte Karl Bücher 62 Semester lang Nationalökonomie und Zeitungskunde an der Universität Leipzig. Während dieser akademischen Tätigkeit war er an 260 Promotionen und sieben Habilitationen beteiligt. Dennoch hat er nicht Schule-bildend gewirkt – weder in der Nationalökonomie noch in der Zeitungskunde.
Die von Bücher entwickelten Theorien und Methoden inspirierten schon zu seinen Lebzeiten zahlreiche Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen im In- und im Ausland; freilich haben sie auch heftige Kritik hervorgerufen – allen voran seine Theorie der Wirtschaftsstufen. Zu seinen bleibenden Erkenntnissen zählen unumstritten die Typologie der Arbeitsteilung (1892), die Theorie über die Zusammenhänge von Arbeit und Rhythmus (1896) sowie das »Gesetz der Massenproduktion« und der darin formulierte Effekt der Fixkosten-Degression (1910). Nach Büchers Tod am 12. November 1930 geriet sein Werk mehr und mehr in Vergessenheit.
Seit Beginn der 1990er Jahre entfaltete sich in unterschiedlichen Disziplinen eine wissenschaftshistorisches Interesse am Werk von Karl Bücher – an der Vielfalt seiner Fragestellungen, dem Ideenreichtum seiner theoretischen Konzepte, der faszinierenden Interdisziplinarität und methodischen Varianz seiner Forschungen. Das Ziel, dieses internationale Forschungsinteresse an einem bedeutenden Gelehrten der Universität Leipzig und seinem Werkes zu unterstützen und weiter zu fördern, bildete den Anlass für die Erschließung und Digitalisierung des umfangreichen Nachlasses von Karl Bücher. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, wurde dieses Vorhaben in Zusammenarbeit zwischen dem Lehrstuhl für Historische und Systematische Kommunikationswissenschaft sowie der Universitätsbibliothek Leipzig und dem Universitätsarchiv Leipzig von 2009 bis 2012 durchgeführt.