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Druck aus Hangzhou

Der älteste chinesische Druck der Universitätsbibliothek stammt aus dem Jahr 1579 und gelangte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an die Universität Leipzig. Das vielbändige Werk enthält enzyklopädische, statistische und biographische Informationen über die Präfektur Hangzhou.

(Wanli) Hangzhou fuzhi (萬暦)杭州府志 [Lokalchronik der Präfektur Hangzhou] (zusammengestellt in der Wanli-Periode), unter der Leitung von Liu Bojin 劉伯縉 (lebte um 1568); zusammengestellt von Chen Shan 陳善 (1514–1589) u. a., Hangzhou (Provinz Zhejiang) 1579 [UBL: Sin.388]

In einhundert Heften liefert diese Schrift eine umfangreiche Beschreibung der Präfektur Hangzhou in der Provinz Zhejiang. Der letzte bekannte Sammler war der Gelehrtenbeamte Zha Rihua 查日華, der 1843 die Fadenbindung erneuern ließ – die wiederum 2021 erneuert werden musste.

In den chinesischen Ming- und Qing-Dynastien diente der größte Teil der geographischen Publikationen administrativen Zwecken. Das Hauptgenre „zhi“, das gewöhnlich mit „Lokalchronik“ übersetzt wird, bezeichnet Kompendien zu Verwaltungsgebieten – von Bezirken über Präfekturen bis hin zu Provinzen – die in unregelmäßigen Abständen von Beamten und lokalen Literaten zusammengestellt wurden. Sie boten in Karten und Texten Beschreibungen der physischen und der Humangeographie mit Abhandlungen über Verwaltung und Besteuerung, Listen von Beamten und bemerkenswerten Persönlichkeiten, literarischen Werken lokaler Schriftsteller sowie Beschreibungen lokaler Bräuche, Religionen und Ereignisse.

Eine Seite aus dem 25. Heft der allgemeinen biographischen Abteilung. Mit schwarzer Tinte gedruckt steht hier ein biographischer Eintrag zu einem Arzt namens Xu Qiufu 徐秋夫 aus dem chinesischen Mittelalter (5. bis 6. Jahrhundert) zu lesen. Der Arzt war für seine Akupunktur berühmt. Eines Tages, heißt es hier, suchte ihn der Geist eines Verstorbenen auf, der noch im Tode von Rückenschmerzen geplagt wurde. Doktor Xu übte seine Akupunktur an einer Strohpuppe aus und der Geist wurde geheilt.

Auf diese Anekdote bezieht sich die Notiz in roter Schrift über dem Blocksatz, wo ein unbekannter Leser den Ausdruck „Geisterheilung“ hingeschrieben hat. Alle Markierungen in roter Tusche sind Lesespuren, eingetragen von unbekannter Hand, sichtbar an vielen Stellen dieser Ausgabe. Kommas und Kringel bezeichnen das Ende von Satzabschnitten, längere senkrechte Striche markieren Personennamen.

Das Bild zeigt im ersten Heft die erste Seite des Vorworts von Xu Shi 徐栻 (1519–1581) aus dem Jahre 1579 mit Stempeln von Sammlern des Buches. Die Siegel benennen Vorbesitzer, darunter oben das große Siegel des letzten bekannten Besitzers in China, Zha Rihua 查日華 (geb. 1806). Hangzhou war im 12. und 13. Jahrhundert die Hauptstadt im China der Südlichen Song-Dynastie und schon damals ein Handelszentrum. Im Vorwort aus dem 16. Jahrhundert heißt es unter anderem „Heutzutage ist Zhejiang die erste Provinz des Reiches, und Hangzhou ist die bedeutendste Präfektur Zhejiangs sowie die größte Metropole des Südostens.“ Auch im 16. Jahrhundert war Hang­zhou, das Marco Polo dreihundert Jahre zuvor als Quinsay bekannt war, eines der wohlhabendsten städtischen Zentren Chinas.

Zu sehen ist die Karte der ummauerten Stadt Hangzhou als Bilddoppelseite aus dem ersten Heft. Die genordete Karte zeigt den berühmten Westsee und den Fluss Qiantang im Osten. Städte in China hatten keinen unabhängigen Rechtsstatus, und die Stadt Hangzhou war zwischen zwei Bezirken aufgeteilt, Renhe 仁和und Qiantang 錢塘 (gleichnamig mit dem Fluss). Das ummauerte Stadtgebiet beherbergte die Residenzen von vier Verwaltungsebenen als Sitz der beiden Kreisverwaltungen, der Präfektur, mehrerer Großkreise, sowie der Provinzverwaltung von Zhejiang. Die Residenzen werden durch Rechtecke dargestellt, andere Rechtecke zeigen militärische Einrichtungen, Schulen und Prüfungshöfe, Getreidespeicher und eine Wohltätigkeitsorganisation.

Obwohl proportionale Kartenprojektionen unter Verwendung von Längen- und Breitengraden bereits aus der Song-Dynastie (960–1279) bekannt waren und später am Hof verwendet wurden, was zum Teil auf jesuitische Missionare zurückzuführen ist, wurden solche Kartenprojektionen in den Lokalchroniken nur selten verwendet.

Wenn es in China heißt „Im Himmel das Paradies, auf Erden Suzhou und Hangzhou“, dann ist mit letzterem vor allem der Westsee gemeint. Spätestens seit die Song-Dynasti – nach dem Verlust des Nordens an die Dschurdschen im Jahre 1127 – ihre Hauptstadt nach Hangzhou verlegte, wurde der Westsee zu einem Reiseziel der Gelehrten und Dichter. In der Hangzhouer Lokalchronik ist dem Westsee im Heft 22 ein ganzes Kapitel gewidmet, welches u. a. Auszüge aus der berühmten Reisebeschreibung von Tian Rucheng 田汝成 (1503-1557) sowie 182 lyrische Gedichte über die Sehenswürdigkeiten des Westsees enthält, darunter sieben von Bo Juyi 白居易 (772–846), einem der bedeutendsten chinesischen Dichter überhaupt, der 822–825 Gouverneur von Hangzhou war. Auf der Karte (aus dem ersten Heft) sichtbar sind die Stadtmauer im Osten sowie der See mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Der in der Seemitte von Süden nach Norden verlaufende Deich existiert bis heute. An seinem Südende sieht man die Leifeng Pagode, erbaut 975 (1924 eingestürzt, 2002 wiedererrichtet), am Nordende (m Falz) den Yue Fei Tempel, errichtet im 15. Jahrhundert zur Erinnerung an den Song General Yue Fei 岳飛 (1103–1142), der die Song gegen die Dschurdschen verteidigte.

Ein wichtiger Bestandteil von Lokalchroniken sind Angaben zu denjenigen Beamten, die in der Vergangenheit leitende Positionen in der beschriebenen Örtlichkeit innehatten. In Heft 14 werden diese Informationen in Tabellenform präsentiert. Auf der rechten Seite sind die letzten Lokalbeamten der Yuan-Dynastie (1279–1368) verzeichnet, während auf der linken Seite die ersten Amtsinhaber der Ming-Zeit (1368–1644) erscheinen. Die Spalten sind von oben nach unten in folgende Kategorien eingeteilt: 1. Jahresangabe; 2. Präfekt; 3. Vizepräfekt; 4. Unterpräfekt; 5. Richter; 6. Rektor; 7. Dozent (die beiden letztgenannten Ämter bezeichnen leitende Positionen in den örtlichen Akademien). Fehlen Angaben für eines dieser Ämter, so wird der entsprechende Textkasten freigelassen. So sind für das erste Jahr der Ming-Dynastie (1368) lediglich die Namen des Präfekten (Wang Xingfu 王興福) und eines Dozenten (Ling Yunhan 凌雲翰) verzeichnet. Die nächste Spalte informiert darüber, dass im dritten Jahr der Ming-Dynastie (1370) diese beiden Funktionen von Liu Wen 劉文 (als Präfekt) und Mo Weixian 莫維賢 (als Dozent) übernommen wurden. Die letzte Spalte benennt als Amtsinhaber im fünften Jahr (1372) Wang Dexuan 王德宣 (Präfekt) und Zhao Yunwen 趙允文 (Vizepräfekt). Der häufige Wechsel in der Besetzung leitender Ämter war üblich.

Verwaltungsinformationen machen einen Großteil chinesischer Lokalchroniken aus. Dazu gehören neben Beamtenverzeichnissen auch Bevölkerungszahlen und Steuerquoten. Im Bild zu sehen ist aus Heft 28 eine Auflistung mit historischen Bevölkerungszahlen der gesamten Präfektur (nicht nur der Stadt) Hangzhou, inklusive der dazugehörigen acht Distrikte. Die Bevölkerung der Städte wurde nicht einzeln gelistet, da sie für die wesentlichen Steuern – Land- und Kopfsteuer – nicht relevant war. Aus der Liste geht hervor, dass die Präfektur nach der von den Dschurdschen-Feldzügen im 12. Jahrhundert ausgelösten Flüchtlingsbewegungen stark anwuchs: kurz vor der mongolischen Eroberung im Jahre 1276 auf 391.259 Steuerhaushalte – eine Verdopplung gegenüber dem 11. Jahrhundert. Während diese Zahl unter der mongolischen Yuan Dynastie (1279–1368) trotz der Verlegung der Hauptstadt in den Norden kaum sank, und Marco Polo Hangzhou noch in seiner Blütezeit erlebte, dezimierten die Bürgerkriege am Dynastie-Ende die Bevölkerung auf 193.485 Haushalte, was sich später wieder auf dem Niveau des 11. Jahrhunderts stabilisierte. Die registrierten Personenzahlen sind weniger zuverlässig als die der Hausstände. Während für 1290 noch 1,8 Millionen Menschen verzeichnet sind, sank diese Zahl auf 720.567 im Jahre 1368. Dazu ist jedoch zu beachten, dass 1290 noch fünf Personen pro Haushalt gezählt werden, 1368 dagegen nur 3,72 Personen pro Haushalt; diese Zahl sank im Laufe der Ming Dynastie weiter.

Die Universitätsbibliothek Leipzig blickt auf eine mehr als 150jährige Erwerbungsgeschichte chinesischer Drucke und Handschriften zurück und besitzt heute eine bedeutende Sammlung an Sinica. Die chinesischen Drucke sind in drei Signaturbereichen aufgestellt: in der „Bibliothek Grube“, der Fachsignaturgruppe „Sinica“ mit Erwerbungen des 19. und 20. Jahrhunderts sowie im Bereich der chinesischen Drucke, die nach „Numerus currens“ ab ungefähr 1960 eingearbeitet wurden und aus Buchhandelserwerbungen und der chinesischen Literatur aus der Bibliothek des Bochumer Sinologen Alfred Hoffmann (1911–1997) bestehen. Letztere kam 1997 als Schenkung an die Universitätsbibliothek Leipzig. In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt wurden von 2011 bis 2015 diese Bestände in den Katalog des Südwestdeutschen Bibliotheksverbundes katalogisiert. Dadurch wurden ältere Kataloge ersetzt.

Außerdem besitzt die Universitätsbibliothek Leipzig chinesische Schriftstücke, die keine Drucke sind: Fünf chinesische und mandschurische Handschriften, deren Provenienz bis auf eine Handschrift aus der „Bibliothek Grube“ unbekannt ist. Wahrscheinlich gelangten sie als Erwerbungen von Friedrich Weller in die Universitätsbibliothek. Weller besaß selbst Handschriften. Aus seinem Besitz erwarb die Universitätsbibliothek Leipzig 1942 „eine einzigartige Sammlung von Buchdeckeln zum Kandschur in mandschurischer Sprache (in der kaiserlichen, in gelbe Seide gebundenen Ausgabe) mit höchst wertvollen Handmalereien“ (Slider, Abb. 8).

Die in der Universitätsbibliothek Leipzig und in der Bibliothek des Ostasiatischen Seminars aufbewahrten Sinica-Bestände wurden im Zweiten Weltkrieg schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Seminarbibliothek mit allen Unterlagen des Ostasiatischen Seminars wurde bei dem Luftangriff in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 1943 vollständig vernichtet. Aber auch der Sinica-Bestand der Universitätsbibliothek Leipzig erlitt Verluste. Im Sommer 1943 wurden 38 Kisten mit Sinica und Mandschurica in das Schloss Mutzschen ausgelagert. Nähere Informationen über den Inhalt dieser Kisten sind nicht vorhanden. Am 14. und 15. November 1945 wurde ein Großteil der in Mutzschen ausgelagerten Bestände in die UdSSR abtransportiert. Seitdem sind die Sinica-Bestände davon nicht mehr nachweisbar, da sie auch nicht in den 1950er Jahren aus der UdSSR zurück nach Leipzig gelangten, wie die Mehrzahl der nach dem Krieg dorthin verbrachten Bücher.

Buchkultur aus China. Leipziger Spuren, hg. v. Philip Clart, Elisabeth Kaske, Ulrich Johannes Schneider, Leipzig 2021 (Schriften der Universitätsbibliothek 46)

Book Culture from China. Traces in Leipzig, ed. by Philip Clart, Elisabeth Kaske, Ulrich Johannes Schneider, Leipzig 2021 (Schriften der Universitätsbibliothek 47)

Hofmüller, Markus: Ostasiatische Literatur in der Universitätsbibliothek Leipzig, in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 22 (2014), S. 213–228

Jansen, Thomas: China-Literatur in der Universitätsbibliothek Leipzig 1500 – 1939. Eine systematische Biographie, 2 Bände, Leipzig 2003

Moll-Murata, Christine: Die chinesische Regionalbeschreibung. Entwicklung und Funktion einer Quellengattung, dargestellt am Beispiel der Präfekturbeschreibungen von Hangzhou, Wiesbaden 2001

Moritz, Ralf: Sinologie, in: Geschichte der Universität Leipzig 1409–2009, Bd. 4, Halbbd. I: Fakultäten, Institute, zentrale Einrichtungen, hg. von Ulrich von Hehl, Uwe John, Manfred Rudersdorf, Leipzig 2009, S. 449–457